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Sonntag, 7. Mai 2017

Die gute alte Zeit...

...oder "früher war alles besser". Diese Formulierung ist wohl allen geläufig. Sie gehört für mich zu den Formulierungen, die viel zu vorschnell ausgesprochen werden.  Ich habe sie von älteren Verwandten gehört, von verärgerten Kollegen, die über die schlecht erzogenen Schüler schimpften. Ich höre sie jetzt von Gleichaltrigen. Ich widerspreche energisch.
Warum?

Was ist überhaupt "früher"? Ich beschränke mich jetzt mal auf meine Kindheit, Jugend und Studienzeit.
Die 50ger Jahre, die heute vor allem in der Mode als so nett und chic gesehen werden, waren für uns junge Frauen ein Albtraum. Diesen unglaublichen Mief möchte ich nicht zurückhaben. Damals gab es noch reichlich Lehrer mit Nazivergangenheit, die sich auch entsprechend aufgeführt haben. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wieviele "das darfst du nicht" - "das gehört sich nicht für ein Mädchen" - "das ist ein gefallenes Mädchen" ständig im Raum standen. "Gib keine Widerworte, das schöne Händchen geben, die ist ein Mauerblümchen, das ist so ein richtiger Blaustrumpf...... Warum willst du denn studieren? Du heiratest doch sowieso." Am allerschlimmsten habe ich in meiner Kindheit die gegenseitige Ausgrenzung von Katholiken und Protestanten empfunden. Ganze Familien sind an diesem Konflikt zerbrochen. In meiner Grundschulzeit gab es einen katholischen und einen evangelischen Schulhof (nicht gelogen!) und ich habe angsterfüllt durch das Loch in der Hecke gestiert und überlegt, was an den evangelischen Kindern falsch ist. Mein Mann war als einer der ganz wenigen Katholiken auf einem vorwiegend von evangelischen Schülern besuchten Gymnasium und musste ständig die Demütigungen der evangelischen Lehrer ertragen. Nur so als Beispiel: "Wem hast du deine deutsche Muttersprache zu verdanken?" " Herrn Dr. Martin Luther, Herr Oberstudienrat." Irgendwann wurde es meinem Mann zu viel und er hat geantwortet "Dem deutschen Volke" - daraufhin hat er eine schallende Ohrfeige kassiert. Hier möchte ich hinweisen auf einen Post von Irmi, die überhaupt so viele interessante Dinge zu sagen hat. Die Ökumene ist auch ein Weg in die Befreiung gewesen und dieser Weg ist leider, leider noch lange nicht zu Ende.
Nicht auffallen, sich anpassen - das schien das Motto zu sein. Ich musste in meiner eigenen Familie erleben, was sich hinter mancher Fassade versteckte. Viele Zusammenhänge habe ich erst später verstanden. Diese Verlogenheit hat mich völlig ernüchtert, aber ich habe auch meine Konsequenzen daraus gezogen und ich habe versucht, das an meine Kinder weiterzugeben.
An dieser Stelle möchte ich Astrid erwähnen, die unermüdlich auf Missstände hinweist und mit ihren Posts über berühmte Frauen anschaulich beschreibt, dass es eigentlich nie die Angepassten sind, die etwas bewegen.
Welche Entscheidung ich treffe, richtet sich danach, was ich für sinnvoll und machbar halte und nicht danach, was "die Leute" sagen. Wir haben als Studenten geheiratet - o Gottogott! - völlig verantwortungslos - sagten die Älteren - "voll spießig" - sagten die Gleichaltrigen. Dann haben wir 5 Kinder bekommen. "Muss das heute noch sein?" "Du Ärmste, Dein Mann mutet Dir aber was zu." "Was? 5Kinder? Und unsere Steuergelder gehen für eure Kinder drauf!"
Ich könnte die Liste noch ewig fortsetzen. Vieles gehört in unserer Familie zu den "geflügelten Worten" und trägt eher zur Erheiterung bei.
Versteht mich nicht falsch, wir waren keine Revoluzzer. Wir wollten einfach nur nach unserer eigenen Facon (Mist, ich finde hier die Sonderzeichen nicht) selig werden.
Vieles hat sich positiv verändert - Vereinbarkeit von Beruf und Familie - die Unabhängigkeit der Frauen - die Stärkung der Kinderrechte - die Stärkung der Homosexuellen - die starke Presse (jedenfalls hier) - die Möglichkeit, sich zu informieren (vorausgesetzt, man lässt sich von der Flut nicht überschwemmen). Und dann gibt es eine merkwürdige Gegenbewegung, die ich in der Generation meiner Kinder beobachte:
"Ich möchte nicht, dass mein Mann weniger verdient als ich." "Mütter sind für die Kinder viel wichtiger als die Väter." "Männer können keinen Haushalt führen." "Wie, Dein Mann bügelt. Ist das überhaupt ein richtiger Mann?"  Da tauchen ganz merkwürdige Muster auf, von denen zumindest ich geglaubt habe, sie gehören in die Mottenkiste.
Man muss das alles wohl gelassen zur Kenntnis nehmen und sich selbst nicht aus dem Konzept bringen lassen. Es gibt nicht die gute, alte Zeit und es gibt nicht die gute jetzige Zeit. Alles hängt weitgehend davon ab, was wir aus den Möglichkeiten machen und vieles entzieht sich unserem Einfluss. Auch das muss man wohl akzeptieren. Nirgendwo merkt man das so, wie bei den Wahlen. Es ist doch wirklich interessant, dass bei Emmanuel Macron die viel ältere Ehefrau ein wichtigeres Thema ist als seine politische Botschaft. Welche Denkschablonen werden da in Gang gesetzt?
Nie zuvor hat es so ein freies und friedliches Europa gegeben. Nie zuvor konnte man so unbeschwert und unkompliziert reisen. Auch wenn wir von immer neuen Kriegen und Hungerkatastrophen erfahren - nie zuvor war die Kindersterblichkeit so gering wie heute. Sie ist immer noch zu hoch, aber die Zahlen gehen zurück.
Wichtig ist, dass wir alle unseren Beitrag leisten, dass nicht die Hetzer, die Ausgrenzer an die Macht kommen. Es sind letztendlich die, die von Angst getrieben sind, die einfache Muster brauchen, damit sie sich zurechtfinden, die sich nicht vorstellen können, dass unterschiedliche Lebensentwürfe nebeneinander bestehen können und dass die Vielfalt unser Leben so interessant macht.
Aber nur da, wo der freie Wind weht, kann man auch frei atmen.
Wen es interessiert, dem schlage ich folgende Bücher vor:





Wibke Bruhns Nachrichtenzeit


Alice Miller Am Anfang war Erziehung

Was Alice Miller betrifft, so ist sie leider auch ein Beispiel für das "Fassadenproblem". Ihre Bücher habe ich verschlungen und vieles von der düsteren Erziehung der "guten, alten" Zeit wiedergefunden. Aber sie selbst hat diese düstere Erziehung bei ihrem eigenen Sohn grauenhaft übertroffen.

Da sind wir dann wieder beim Thema: Was ist der richtige Weg? Das, was früher war, was uns vielleicht ein Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit gibt, oder müssen wir genauer hinschauen und uns fragen, ob nicht mancher neue Weg eine gute Alternative ist, die den Menschen in ihrem Zusammenleben weiterhilft.
So, das musste ich mal loswerden. Idylle ist schön, aber es gibt sie eher selten und sie kann auch ganz schön einengen. Türen durchschreiten, auch, wenn man nicht weiß, was dahinter ist, kann sehr bereichernd sein. Mir macht das rückwärts gewandte Denken eines Trump, eines Orban, eines Kaczynski, eines Erdogan ordentlich Angst. Es ist der Weg in die Sackgasse.


Diese wunderschöne Tür aus Delft schicke ich zu Nova.



Und beim Stichwort "Idylle" muss noch der Frühlingshimmel über dem schwedischen Wald her.


Übrigens ist auch dieses Bild ein Zeichen für das offene, friedliche und tolerante Europa, dass sich nämlich ein junger Deutscher ein Haus in Schweden kaufen und dort problemlos mit den schwedischen  und norwegischen Nachbarn leben kann. Auch hier hat das 2 Seiten: man muss bereit sein, die Sprache zu lernen. Das macht ja auch nicht dümmer.
Na, wer bis hier gelesen hat, dem wünsche ich einen besonders schönen Sonntag. Für sowas gab es übrigens zu meiner Schulzeit ein Fleißkärtchen!!!!!!!! In diesem Sinne: Lasst es euch gut gehen.

15 Kommentare:

  1. Das sind interessante Gedanken, liebe Magdalena. Zumindest das Buch von Alice Miller ist auch mir bekannt.
    Einen schönen Sonntag wünsche ich Dir.

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  2. Viel gelächelt, auch mal gelacht, da ja Etliches ebenso erlebt und auch wieder ganz anders!
    Gerade einen interessanten Artikel gelesen, warum heute neu gemachter "Shabby Chic" teuer gekauft wird, echte Antiquitäten zu Schnäppchenpreis zu haben sind: Man will halt keine Geschichte, legt sich nicht fest auf bestimmte Epochen fest, die konkrete, gelebte Vergangenheit bleibt fremd. Was vor allem interessiert ist das Jetzt, und man erfindet sich das Alte neu.
    Genauso erfunden ist dieses Alte bei den Populisten, die etwas versprechen, was es so nie gegeben hat. Aber es klingt so schön! Und einfach!
    Leben dagegen IST anstrengend, denn man muss selbst herausfinden, wie man es gestalten will.Und ich für meinen Teil will dieses frühere Leben nicht mehr zurückhaben, denn es war teilweise wie in einem Gefängnis, auch im Westen, deprimierend, unter all den Kriegstraumatisierten aufzuwachsen, unter all diesen Lügnern und Leugnern usw.
    Was Alice Miller anbelangt, hast du mich neugierig gemacht....
    Nun warte ich auf den heutigen Abend voller Sorge...
    GLG
    Astrid

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  3. Eine edle Türe! - Den heiteren Frühlingshimmel über dem schwedischen Wald könnten wir heute über unserem Wald auch gut gebrauchen ;-)
    Eine gute Woche,
    Luis

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  4. Danke für diesen großartigen Eintrag.
    Und seien wir zuversichtlich: auch viele andere Menschen werden die Sackgassen unserer Welt bestimmt noch erkennen und dann davon Abstand nehmen sie zu beschreiten.

    LG Elena

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    1. Da will ich mich Deiner Hoffnung gerne anschließen. Vielleicht hilft es ja.
      LG
      Magdalena

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  5. Liebe Magdalena,
    ich bin mir jetzt nicht sicher, ob mein langer Kommentar an dich angekommen ist. Falls nicht, kommt hier die Kurzversion: Ich finde deinen Beitrag sehr klug und gut geschrieben!
    Drei Wochen lang war ich jetzt weg von meinem PC (aber nicht auf Reisen ...), ich hoffe daher, du verzeihst meine lange Funkstille. Nun bin ich wieder hier und versuche so nach und nach meine Blogrunden nachzuholen. Meine Postings der letzten Zeit waren allesamt vorprogrammiert. Danke, dass du meinen Blog während meiner Abwesenheit besucht und liebe Zeilen hinterlassen hast!
    Herzliche rostrosige Mai-Grüße,
    Traude
    http://rostrose.blogspot.co.at/2017/05/kapstadt-teil-3-sudafrika-museum.html

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    1. Liebe Traude, die lange Version ist tatsächlich nicht angekommen. Aber ich freue mich auch über die kurze. Lass Dir Zeit mit allem. Ich schaffe die Kommentierrunde auch nicht immer.
      Bis bald!
      Magdalena

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  6. Gut geschrieben, liebe Magdalena!
    Ja, ich finde die Mode der 50er auch sehr schön, aber gelebt möchte ich in dieser Zeit nicht haben. 1960 geboren konnte ich als erwachsene Frau ganz anders entscheiden, vor allem selbst!, als es noch der Generation meiner Mutti erging. "Das schöne Händchen" ist mir auch noch vertraut und böse Bemerkungen seitens der Religionslehrerin, weil von einem verpönten Pfarrer getauft...
    Herzliche Grüße
    Marle

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    1. Danke, liebe Marle.Es ist wirklich gut, dass sich einiges verändert hat. Es geht nichts über die Möglichkeit der freien Entscheidung.
      LG
      Magdalena

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  7. ich erinnere mich gut daran, dass ich sehr schnell einfach so funktionierte, wie es die Eltern / Umwelt es von mir erwartete. Was ich dachte und fühlte behielt ich für mich, zu groß war die Gefahr, das sich andere darüber lustig machten oder mich verletzten.
    In Gedanken frei, das war ich schon früh..... bis ich aber auch dazu öffentlich stehen konnte, dauerte es Jahrzehnte.

    Dennoch mag ich vor allem Möbel,Mode und Spielzeug aus den 50er und 60er

    lg gabi

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    1. Die Möbel sind ja z.T. auch wirklich chic. Aber wir mussten ganz schön ackern, um uns loszueisen, oder?
      LG
      Magdalena

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  8. Mir macht diese scheinbare zurück in ein "besseres Früher" auch Angst. Und darum finde ich Deinen Post so wichtig.
    Lieben Gruß und eine feine Woche
    Katala

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    1. Ich danke Dir. Ich möchte mich einfach nicht nur auf das Handarbeiten beschränken. Wir wollen ja schließlich alle in einer friedlichen Welt leben.
      LG
      Magdalena

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  9. Liebe Magdalena,
    so einige Beispiele sind mir auch durchaus bekannt und immer wieder versuchte man mich damit zu "bändigen". Oft ist das auch gelungen, doch ich hatte immer meinen eigenen Kopf. Doch so zu sein, wie ich jetzt bin, hat mich mein ganzes Leben gekostet ;-))). Als ich mir 1980, als ich 20 Jahre alt war, eine eigene Wohnung suchte, meinte ein Beamter vom "Allbau", ich hätte doch schließlich ein Zimmer in der Wohnung meiner Eltern, wofür ich denn da eine eigene Wohnung brauchen würde. Die 50er Jahre hören eben nie auf ;-))).
    Viele liebe Grüße
    Ursula

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    1. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich habe auch lange gebraucht. Da ist ganz schön Kraft draufgegangen.
      LG
      Magdalena

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